Pressetext zu Und ich hab schon wieder Hunger, Galerie im Turm, Berlin, 2018

Und ich hab schon wieder Hunger

Wir sind braungebrannt nach einer langen, regenlosen, sommerlichen Hitzewelle. Mein 12 Jahre jüngerer, marxistischer Cousin setzt auf die Jugend. Der Neubau nebenan in der Kurfürstenstrasse wirbt mit einem Bild einer menschenleeren, gewollt todschick, eingerichteten Wohnung mit einem großen goldenen Jeff Koons Hund drinnen. Auf einer überfüllten grünen Wiese in Berlin Mitte überlassen wir unsere zwei leeren Bierflaschen einem vierten Flaschensammler, nachdem wir die ersten drei zurückgewiesen haben. Wir wollten noch austrinken. Man bekommt acht Cents für eine leere Bierflasche im Supermarkt. Ich beginne einen Streit mit ein paar pubertierenden Jungs, die sich auf der Schwimmbadrutsche vordrängen und werde von einem kleinen Mädchen vor mir dafür gelobt „Sonst glauben die, sie können machen, was sie wollen.“. Galerien schließen nicht nur in Berlin. Fotografie ist ein dialektisches Medium. Was machen wir mit Information?

Fotos von locker (infantil?) von Hand geformtem Essen. Vanilleeis und Erdbeereis in Form von Penissen, Milchreis mit mehr oder weniger Zimt (Buddhist Sutras sagen, dass, Gautama Buddhas letzte Mahlzeit vor seiner Erleuchtung eine große Schale Milchreis war), zu Figuren gehäufter, reichlich angemachter Kopfsalat in blassen Sepia-Farben. Dazu ein Foto etwas erschöpfter Chrysanthemen, die Blumen des Todes, bei denen die Farbe Grün --Beruhigung-- herausgefiltert ist. Die Fotos werden von Textpostern begleitet. Grün wird vermieden (negiert?) oder digital verändert. Grün ist beruhigend, oder das wird zumindest behauptet. Der Milchreis wird mitunter rot.

Reis und Eis und Kopfsalat (für die Erwachsenen?). Ich bring die Blumen.

Die Galerie trägt einen mütterlichen Rock. Ein riesiger Vorhang von der Decke bis zum Boden, an dem ich mich festhalte. Er wirft Falten und ist neutral grau, wie in der Schule. Ein Formfehler?

Neun Bilder sind gerahmt. Diesmal habe ich die Rahmen selbst lackiert, auch aus ökonomischen Gründen. Fünf Bilder sind auf dünneres Papier gedruckt. Sie sind, wie die Textposter so an die Wand gekleistert, dass das Papier mitunter auch über den Boden oder eine Kante der Wand ragt. Die gerahmten Bilder sind schmutzig von Ruß und/oder Eiskrem-Fingerpatzern. Vielleicht kotzen manche auch ein wenig (Acrylfarbe aussen auf dem Glas der Rahmen). Nicht zuletzt, um ihr nur digitales Lesen zu erschweren. Sie beziehen euch auf nahezu mütterliche Weise ein. Wer immer sie kauft, kann sie selber putzen. Und wir nehmen kein Schwarzgeld.

Das Vergnügen in der Figur der Mutter.

Beilagen und Nachspeisen– keine Hauptspeisen; keine Mitte. Und Tod oder Todesblumen frei von grün.

Körper sind abwesend. Ich bin nicht da. Ich hungere nach deiner Abwesenheit. Fotografie ist passiv-aggressiv, was man möglicherweise wahrnimmt. Andererseits ist vielleicht in den Bildern mein gebeugter fotografierender Körper zu spüren. Ist das Arbeit? Die Kamera wurde ganz klebrig. Ich auch. Danach habe ich auf Knien den mit Eiskrem-Tropfen gesprenkelten Wohnzimmerboden aufgewischt, während die Wäsche noch trocknete. Ich arbeite zu Hause. Das sieht man nicht. Der Rest ging in den Abfluss.

Das Lustige in der / Die lustige Figur der Mutter.

Es ist interessant was aus Bildern herauskommt. Ich mag Zeitschleifen. Zur Eröffnung werde ich in einer durchaus liebevollen, mütterlichen performativen Geste, die Vanilleeis-Penisse aus den Bildern, zum Vergnügen des Publikums reproduzieren. Alle, die diese kalten, süßen Vanilleeis-Schwänze verzehren, werden dann Teil der Arbeit, ihre Körper jedenfalls. Später werden sie Kunst scheißen. Und sie werden erleichtert sein. Nichts wird verschimmeln und von Ratten konsumiert werden (oder Würmern). Und ich hab schon wieder Hunger.

Wir freuen uns auf euer Kommen!

_ Lisa Holzer, Berlin und Sikås, Sommer 2018